: Anton hat Stadionverbot
„Die wollen unsere Stimmung, aber nicht unseren Widerspruch“ – in Deutschlands Fußballstadien bestimmen zunehmend Ultras das Geschehen in der Kurve. Eine ihrer Hochburgen ist Karlsruhe
AUS KARLSRUHE CHRISTOPH RUF
Die Rückrunde wird erst in einer Stunde angepfiffen, doch für die KSC-Ultras hat die Heimpremiere schon lange begonnen. Am Fancontainer unterhalb der Gegengerade herrscht Hochbetrieb, auch heute Abend gibt es einige Neueintritte bei den „Supporters“, dem 1.300 Mitglieder starken Dachverband, dessen aktivster Teil die Ultras sind. Eine halbe Stunde vor Spielbeginn setzen im D 1-Block die Gesänge ein. Das branchenübliche Gedudel aus den Boxen nimmt hier keiner wahr, „die Stimmung machen wir selbst“, erklärt Manuel Haas von der Ultra-Gruppe „Phönix Sons“.
„Unter Fansein verstehen wir etwas anderes als zum Anton aus Tirol die Arme zu heben und sich jedes Jahr das neue Trikot zu kaufen“, erklärt Fanclub-Kollege Tom Beck das Selbstverständnis in der Kurve. Ihre Fanartikel entwerfen sie selbst, unter der Woche werden in einer Turnhalle bis zu 50 Meter lange Transparente und Papptafeln vorbereitet, die – in der richtigen Anordnung und zum richtigen Zeitpunkt hochgehalten – eine der in der Szene so beliebten Choreografien ergeben. Tagelange Kleinarbeit für zehn Sekunden Glückseligkeit. Doch der aufwändige „Support“ sei nur das äußere Erkennungsmerkmal der Szene, so Tom, der Vokabeln wie „Widerstand“ und „Rebellion“ gebraucht, wenn er über sein Selbstverständnis als Ultra spricht. „Die Leute, die den Fußball durchorganisieren, wollen unsere Stimmung als Kulisse für die Kameras, aber nicht unseren Widerspruch.“ Mit Gruppierungen wie BAFF, der 1993 gegründeten kritischen Fanorganisation, sei man inhaltlich „zu 75 Prozent einig“. Dort habe man allerdings zu lange ignoriert, dass eine neue Fan-Generation nachgewachsen sei, die sich anders artikuliere. Tom, der stolz behauptet, „dass die organisierten Rechten bei uns keine Chance mehr haben“, will „nicht die Politik über die Kurve stülpen“, aber auch er stellt den Jüngeren Fragen: „Warum kann der Bulle dich einfach so zusammenknüppeln?“ Die Antwort sei politisch. Ob Versitzplatzung, Kommerzialisierung oder Repression durch Polizei und Ordnungsdienst – was bereits in den Achtzigern angeprangert wurde, stößt nun bei den Ultras auf erbitterte Gegenwehr.
Michael Gabriel von der Koordinierungsstelle der Fanprojekte in Frankfurt bestätigt, dass die Ultras in „den letzten Jahren landesweit immer zahlreicher geworden sind“. In der zweiten und dritten Liga, aber auch in Frankfurt, Hannover, Stuttgart und bei Bayern München gebe es starke Ultra-Gruppen, „nur bei sehr traditionellen Fanszenen wie in Offenbach oder Schalke haben sie es ganz schwer“. Gleiches gelte für das Verhältnis zur Polizei, die von Ultras geschätzten und vom Staat verbotenen bengalischen Feuer seien oft Anlass zu Zusammenstößen. Das harte Vorgehen der Polizei sei allerdings kontraproduktiv: „Je stärker der Druck von außen, desto weniger Chancen haben die Vernünftigen in der Gruppe, gehört zu werden.“ Allerdings würden auch bei den Ultras offene Ohren seltener: „Ein Dialog wird da natürlich schwieriger.“
Ultras sind auch innerhalb der Fanszenen nicht unumstritten. Vor allem wirft man ihnen vor, sie nutzten das Stadion nur als Bühne zur Selbstdarstellung. Dass „Sport und Fankultur sich entkoppelt“ haben, und „mehr in die gegnerische Kurve als auf den Platz geschaut“ wird, hat auch Gabriel festgestellt – was „Phönix Son“ Manuel nicht abstreitet: „Wir zelebrieren unsere eigene Show, da ist 50 Prozent des Einsatzes für die eigene Gruppe.“ Das Bild vom kritiklosen Fahnenschwenker, der noch den peinlichsten Fehlpass mit niemals endendem Gesang unterlegt, empört ihn dennoch: „Einzelne Spieler bejubeln wir aus Prinzip nicht.“ Beim nächstbesten Angebot würde „doch jeder von denen in die Bundesliga“ wechseln, „das sind eben nur Angestellte des Vereins“. Der logische Folgesatz „Der Verein sind wir“ bleibt zwar unausgesprochen. Er schwingt aber mit, wenn Tom über den „ sportlichen und finanziellen Niedergang“ seines Vereins spricht: „Dass der KSC trotzdem an Attraktivität gewonnen hat, ist nur uns zu verdanken.“ Das Präsidium könne froh darüber sein, dass Jugendliche über den Trubel in der Kurve an den Verein gebunden werden: „Der 16-Jährige, den wir jetzt holen, ist mit 25 Mitglied und mit 40 sponsert er den Verein.“ KSC-Vizepräsident Michael Steidl, der zwar durchblicken lässt, dass die Ultras nicht gerade komplexbeladen gegenüber dem Verein aufträten, ist dann auch tatsächlich voll des Lobes: „Die Supporters haben acht Wochen lang unentgeltlich Fanartikel in der Innenstadt verkauft. Und wir sind bei der schwierigen Finanzlage froh über jede helfende Hand.“
Das Spiel ist aus. Osnabrück hatte beim 3:0 nicht den Hauch einer Chance – weder auf dem Platz noch auf den Rängen. Im D 1-Block beginnen derweil die Aufräumarbeiten, Doppelstockhalter und Transparente werden bis zum nächsten Wochenende zwischengelagert. Und Dirk Griesbaum vom Fanprojekt macht sich so seine Sorgen: „Unser Keller quillt jetzt schon über. Die hängen so an dem Zeug, da wird nichts weggeworfen.“
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